In meinem Soz.päd.-Studium hatte ich bereits kurz nach dem Start ein Lieblingswort auserkoren. Ich flocht es immer wieder bei Diskussionen ein, verwendete es in Vorträgen und widmete ihm sogar eine eigene Hausarbeit:
Ambiguitätstoleranz.
(gut zum Angeben, aber schlecht für Scrabble - ist zu lang 😉)
Ambiguitätstoleranz ist die Fähigkeit, mehrdeutige Situationen und widersprüchliche Handlungsweisen zu ertragen.
Einerseits gefiel mir das Spiel mit der Mehrdeutigkeit - weil es einen großen Raum zur inneren Auseinandersetzung entfaltete.
Andererseits war ich immer wieder beseelt davon, Eindeutigkeit zu erkennen und zu erfahren.
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Wie gelingt eine (situativ) klare Position,
ohne Toleranz und Vielfalt zu opfern?
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Jegliche Diskurse in einer Gruppe, einem Team oder einer Organisation sind von Vieldeutigkeit durchzogen. Es gibt unterschiedliche Interessen und Loyalitäten, die manchmal so gegensätzlich sind, dass ein gemeinsames Ergebnis illusorisch erscheint.
Nächste Woche beginnt die 28. Weltklimakonferenz in Dubai.
Sultan Al Jaber ist der Präsident der Konferenz - und gleichzeitig Chef des nationalen Ölkonzerns, der seine ohnehin gewaltige Ölförderung weiter ausbauen will.
Da sind auch meine ambiguitätstolerantesten Gehirnzellen höchst irritiert
- die anderen begehen Harakiri.
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Vor ein paar Wochen erhielt Mojib Latif den Bundesverdienstorden.
Er ist Klimaforscher am Institut für Meeresforschung in Kiel, war einer der ersten Wissenschaftler, der vor dem Klimawandel gewarnt hat, und erhält immer wieder Drohungen wegen seiner Forschungsarbeit.
In einem Interview antwortete er auf die Frage, was ihn motiviert,
trotzdem immer weiterzumachen, folgendes:
"Auf der einen Seite ist das Thema viel zu groß. Es ist ein Menschheitsthema und da kann man nicht einfach den Kopf in den Sand stecken. Und das andere: Auch wenn man als Einzelner nicht viel erreichen kann, man muss ja morgens in den Spiegel kucken können. Und ich muss mir selbst sagen können: du hast das getan, was du tun konntest."
Der morgendliche Blick in den Spiegel.
Sich selbst tief in die Augen sehen, dem Pfad der Seele folgen, immer weiter, immer tiefer, vorbei an bunten Möglichkeiten, das Gestrüpp der Beliebigkeit durchwandernd, an der Kreuzung mit vier Wegen den fünften wählen - und irgendwann zu einem Punkt kommen, der eindeutig ist.
Der Punkt, der dich selbst verpflichtet.
Die Gewissheit, die nicht korrumpierbar ist.
Wir können uns selbst nicht in die Augen schauen, wenn wir spüren, dass wir falsch handeln, aus falschen Motiven handeln, in falschen Loyalitäten hängenbleiben. Aus Angst, aus Bequemlichkeit, aus Gewohnheit, weil alle das machen.
Das muss uns niemand sagen.
Das merken wir selbst.
Zum Glück.
Ahoi und herzliche Grüße Peggy
PS: Ich möchte dir Rainers Blog zur Hymne für die Klimabewegung heute besonders an Herz legen. |